Ich selbst habe in meiner Kindheit leider kein Instrument gelernt. Mein Bruder hat eine Zeit lang in einem Jugendchor gesungen, wir beide später im Schulchor unseres Gymnasiums. Nach ein paar Jahren habe ich zwar nicht mehr im Chor gesungen, doch begleitete mich die Musik immer. Ich liebte es mit meiner Freundin die aktuellen Songs nachzusingen und – natürlich – alle Texte auswendig zu kennen. Musik war immer besonders und faszinierend für mich. Dann trat die Musik jedoch immer mehr in den Hintergrund neben allem anderen, was das Leben so bereithielt.
Später im Erwachsenenalter fand die Musik mich wieder. Inspiriert durch einen Song schrieb ich die ganze Nacht durch. Das Ergebnis war mein erster eigener Song. Ich war voller Energie und es war ein großartiges Gefühl. In den darauf folgenden Wochen schrieb ich weitere Songs. Danach entschied ich, dass ich sie auch singen will. Damit begann für mich eine interessante musikalische Reise.
Ich denke, dass ich ohne meine frühe Beschäftigung mit Musik den Zugang im späteren Leben gar nicht oder wesentlich schwerer gefunden hätte. Eines kann ich aber mit Sicherheit sagen: Musik hat mein Leben immer sehr bereichert. Sie hat mich aufgebaut, wenn es mir schlecht ging, mich vorangetrieben, wenn ich stehen blieb und mich mit unzähligen Menschen in Kontakt gebracht.
Viele Kinder und Jugendliche träumen davon ein Instrument zu lernen, in einer Band zu singen oder in einem Orchester zu spielen. Dieser Traum erfüllt sich leider nicht für jeden. Das andere Extrem ist, Kinder wöchentlich oder sogar täglich zu stundenlangem Musizieren zu zwingen.
Die wenigsten werden allerdings bezweifeln, dass Singen und Musizieren sich positiv auf motorische Fähigkeiten, Konzentration und das Erinnerungsvermögen auswirken können. Wissenschaftler Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller1 stellt zudem einen positiven Aspekt auf die Entwicklung des Gehirns heraus. Das Musizieren in jungen Jahren treibt demnach die Vernetzung und Vergrößerung bestimmter Nervenbahnen voran.2
Doch Musik kann noch mehr leisten. Das Singen und Musizieren in der Familie oder anderen Gruppen fördert die Persönlichkeitsbildung und Gemütsentwicklung von Kindern. So belegt eine Langzeitstudie aus Berlin ein ausgeglicheneres Gemüt und mehr Sympathie zu anderen Kindern in Klassen mit erweiterter Musikerziehung. Demgegenüber war der Grad an Antipathie zwischen Kindern in der Kontrollgruppe kontinuierlich doppelt so hoch.3 Die Studie legt nahe, dass Musik die Macht besitzt Konflikte zwischen Jugendlichen abzumildern und Stimmungslabilität entgegenzuwirken. Sie sorgt offenbar für ein positiveres Klima in Gruppen. Dies kann ich aus persönlicher Erfahrung nur bestätigen.
Gefahr bekannt, Gefahr gebannt? Wenn die Vorteile musikalischer Erziehung doch so auf der Hand liegen und mittlerweile durch Studien mehrfach belegt sind, warum ist musikalische Erziehung dann immer noch eher eine Seltenheit?
Leider geht die soziale Schere auch hier auseinander. Einkommen und Bildungsstatus entscheiden in den meisten Fällen darüber, ob ein junger Mensch Musik macht oder nicht.
Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation mit dem Deutschen Musikrat belegt, erhalten nur 8% der Jugendlichen aus Haushalten mit einem niedrigen Einkommen bezahlten Gesangs- oder Instrumentenunterricht. Demgegenüber erhalten 33% ihrer Alterskolleginnen und -kollegen aus einkommensstärkeren Haushalten diese Möglichkeit. Die besuchte Schulform zeigt sogar noch einen stärkeren Trend. Die Wahrscheinlichkeit musikalisch aktiv zu sein ist bei Gymnasiast*innen 50% höher als bei anderen Schulformen.4
Musikalische Bildung steht demnach nicht jedem offen. Kinder und Jugendliche mit niedrigerem Bildungsstatus oder einkommensschwächeren Familien sind offenbar benachteiligt.
Auch das schulische Angebot geht meistens nicht über den Musikunterricht hinaus und meiner eigenen Erfahrung nach erlernt man dort weder ein Instrument, noch singt man sehr oft.
Für eine Chancengleichheit sollten mehr musikalische Angebote entstehen, die allen Schülern offen stehen. Schulchor oder -orchester sind nur eine Möglichkeit.
Auch die Bertelsmann-Stiftung plädiert diesbezüglich für eine Reform des Bildungs- und Teilhabepakets des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. So können beispielsweise Musikschulen und –vereine gezielt gestärkt werden, damit Angebote direkt und für alle in Kitas oder Ganztagsschulen durchgeführt werden können.5
Ein weiterer Punkt ist, die Musik in der eigenen Familie oder dem Freundeskreis zu etablieren. Dafür könnten sich Familien oder Freundesgruppen selbst für Liederabende oder Bandprojekte organisieren. Ich persönlich habe bei selbst organisierten Projekten immer den meisten Spaß gehabt und kann daher nur empfehlen selbst aktiv zu werden.
Da die Zahlen von musikalisch aktiven Jugendlichen zwischen 2001 und 2015 einen deutlichen Anstieg verzeichnet6, lässt sich zumindest ableiten, dass die Beschäftigung mit der Musik den Jugendlichen immer wichtiger wird. Weitere Angebote in Schulen und Kitas würden den positiven Trend daher noch verstärken und vielleicht sogar dazu beitragen, die soziale Schere zu schließen.
Fußnoten
1 Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH).
2 https://www.aerzteblatt.de/archiv/161571/Musik fuer Kinder – Mehr als der Mozarteffekt (abgerufen am 17.03.2019)
3 Hans Günther Bastian: Musikerziehung und ihre Wirkung. Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen, Mainz: Schott Musik International 2000, unter Mitarbeit von Adam Kormann, Roland Hafen, Martin Koc
4 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/september/musikalische-aktivitaet-von-jugendlichen-haengt-wesentlich-von-bildung-und-einkommen-der-eltern-ab/ (abgerufen am 17.03.2019)
5 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/september/musikalische-aktivitaet-von-jugendlichen-haengt-wesentlich-von-bildung-und-einkommen-der-eltern-ab/ (abgerufen am 17.03.2019)
6 https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Musikalische_Bildung/MuBi_Kurzbericht_Studie_Jugend-und-Musik_final_2017.pdf, S. 3 (abgerufen am 19.03.2019)
Olivia Pahl ist schon seit ihrer Jugend in der Kunst aktiv. Als Sängerin (Olivia Mac) ebenso, wie in den Bereichen Medien und Grafik. Ihr Studium der Kunstgeschichte gab ihr zusätzlich den wissenschaftlichen Hintergrund. In ihrer Journalistischen Arbeit möchte sie auf positive Tendenzen in der Gesellschaft aufmerksam machen. Aktuell arbeitet Olivia außerdem als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit am Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung in Düsseldorf.