Es gibt Städte, in denen man sich so fühlt, als lebe man in einem Traum oder in einem Märchenland oder in einem Paradies auf Erden.
Wenn Sie den Spuren des berühmten Dichters Goethe folgen, auf der Linie von Weimar, Karlsbad (Tschechien), Stützerbach und Erfurt, werden Sie dieses Gefühl teilen können. Sie machen dann eine Zeitreise von etwa drei Jahrhunderten in die Welt von Geschichte, Urbanisierung, Literatur und Wissen.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist wirklich eine außergewöhnlich begabte Person. Im Alter von 10 Jahren kann er Homer und Klopstock lesen und interessiert sich für Theater und Literatur. Während der französischen Invasion besucht er oft das französische Theater. Infolge der Reife seiner Gedankenwelt und seines Wissens schicken ihn seine Eltern im Alter von 16 Jahren zum Jurastudium zur Universität Leipzig. Nach diesem Studium, das er teils auch in Straßburg absolviert, kehrt er nach Frankfurt zurück. Währenddessen entfaltet er seine dichterischen Fähigkeiten und wird bekannt.
Ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben ist die Einladung des Herzogs von Weimar-Sachsen – Carl August – im Jahre 1775 nach Weimar. Der Herzog setzt ihn in fast allen Angelegenheiten rund um den Aufbau der Stadt ein und unterstützt ihn großzügig. Bald entwickelt sich Weimar zum kulturellen und geistigen Zentrum Deutschlands. Dies zeigt uns, dass die Einbeziehung von Dichtern und Denkern wie Goethe in Kultur- und Städteplanung sehr vorteilhaft sein kann. Wenn die führenden Politiker Künstler, Literaten, Denker und Wissenschaftler wertschätzen und zu Wort kommen lassen, profitieren die Länder und Regionen in starkem Maße in puncto Kunst, Kultur und Wissen. Aber wenn sie stattdessen unterdrückt und weggesperrt werden, erschüttert dies die Gesellschaft, führt zu Konflikten und Rückentwicklungen. Das passiert in jeder Kulturlandschaft – die Geschichte ist voll mit derartigen Beispielen!
Goethe reist in seinem Leben (83 Jahre) so viel, dass er einmal die Erde umrundet hätte. Er interessiert sich sehr für Naturwissenschaften, Kunst, Musik und Literatur. Dieser vielseitige Dichter kommt in Frankfurt am Main zur Welt. Er reist aus Weimar über Erfurt, Jena, Ilmenau, Stützerbach, Karlsbad über Innsbruck nach Venedig und Rom. Nebenbei betreibt er seine Forschungen. Wie er es in einer Zeit, in der die Kutsche das schnellste Verkehrsmittel ist, schafft, so viele wissenschaftliche Forschungen und Reisen zu unternehmen, ist uns heute ein Rätsel. Während seiner zweijährigen Italienreise werden seine humanistischen Gedanken intensiver. Er lehnt die Einladung Napoleons, mit dem er sich zweimal getroffen hat, nach Paris ab und beschäftigt sich dagegen mit dem iranischen Dichter Hafiz, dem Koran, dem Arabischen und Persischen. Sein Interesse gilt also mehr dem Orient.
Um genau zu begreifen, was für ein Leben Goethe geführt hat, sollte man die Museen in seinen einstigen Wohnhäusern in verschiedenen Städten wie in Weimar und Stützerbach besichtigen.
Sein Haus in Weimar liegt mitten im Zentrum, und aus dem Brunnen gegenüber seinem Haus fließt immer noch Wasser. Sein Arbeitszimmer, das sich zwischen seiner Bibliothek aus 7500 Bänden und dem Schlafzimmer befindet, ist sehr schlicht. Boden, Tisch und Schränke sind aus Holz. Goethe ist gleichzeitig auch ein Farbenwissenschaftler. Die Wände seines Arbeitszimmers sind grün, denn er glaubt, dass diese Farbe den Menschen entspannt. Auch das Einzelbett aus Holz, das an der Ecke seines Schlafzimmers steht, und der Wandteppich an dem Bett sowie die Wände sind in Grün gehalten. Er verabschiedet sich von seinem Leben auf diesem Stuhl, der an seinem Bett steht.
In einem anderen Museum an seinem Haus werden seine Werke und Forschungsarbeiten in unterschiedlichen Bereichen ausgestellt. Es gibt eine Menge Steine, die er selbst gesammelt und untersucht hat. Der ersten Ausgabe vom „West-östlichen Divan“ (1819) schenke ich besondere Aufmerksamkeit. Daneben liegt ein Blatt, wo er einige arabische Wörter notiert hat.
Wie arbeitet und verfasst Goethe seine Werke?
Goethe entwickelt seine literarischen und naturwissenschaftlichen Texte wohlüberlegt. Meist studiert er zunächst Quellen und erstellt schrittweise seine Textentwürfe. Diese diskutiert er intensiv mit Zeitgenossen. Er versteht sein Werk nicht als endgültig. Er korrigiert sogar für Neuauflagen Gedrucktes.
Spontane Ideen bringt er mit Bleistift zu Papier. Mit diesem kann er flüssig schreiben, ohne ständig in Tinte eintauchen zu müssen. Auch stören ihn die Schreibgeräusche der Feder, sie hindern seinen Gedankenfluss. Die Reinschrift lässt er mit Tinte fertigen. Ab den 1790er Jahren diktiert Goethe vorwiegend. Sein Sekretär unterteilt das grobe Konzeptpapier und notiert rechts Goethes Formulierungen; links korrigiert Goethe das Geschriebene. Später diktiert er sogar persönliche Briefe; er ergänzt und unterschreibt sie lediglich.
Vielleicht nimmt Goethe seine Inspiration aus dem Fluss Ilm in dieser Region. Wer weiß, worüber und was er bei seiner Wanderung entlang des Flusses so denkt. Im Arabischen bedeutet das Wort Ilm„Wissen“. Vielleicht stammt der Namen des Flusses aus dem Arabischen? Nein, er kommt aus den mittelalterlichen baltischen Sprachen. Es ist trotzdem ein schöner Zufall, dass an diesem Fluss in den kulturellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichen so vieles entwickelt wurde, was der arabischen Bedeutung des Wortes Ilm entspricht.
Eine Stadt der Freundschaft und Kultur: Weimar
Wenn ich Weimar höre, fallen mir als erstes Goethe und Schiller ein, danach die Republik mit dem gleichen Namen. Aber wenn es selbst um die Stadt geht, ist es tatsächlich so, wie der Schriftsteller Adolf Stahr 1871 beschrieben hat: „Weimar ist eigentlich ein Park, in welchem eine Stadt liegt.“
Goethe und Schiller sind die wichtigsten Personen des deutschen Klassizismus. Die Freundschaft der beiden Dichter wird symbolisch durch ihre Statuen vor dem historischen Gebäude dargestellt, in dem die Weimarer Republik proklamiert wurde. Während Goethe seine Gedichte durch seine Inspiration vom Leben und seinen Gefühlen verfasst, beruhen Schillers Gedichte eher auf Geist und Philosophie. Unterschiede zwischen den beiden sind auch hinsichtlich des sozialen Lebens zu sehen. Während Goethe von Kindheit an von seinen Eltern und privaten Erziehern erzogen und gebildet wird, leidet Schiller nicht nur unter der strengen Erziehung seines Vaters, sondern auch unter der Unterdrückung des despotischen Herzogs in der Region. Zwischen 1773 und 1780 studiert er zunächst Jura und dann Medizin. Nach der Aufführung seines Dramas „Die Räuber“ (1782), das er im Geheimen verfasste, wird er ins Gefängnis geworfen und darf nicht mehr ins Ausland reisen. In diesem berühmten Werk, das große Resonanz gefunden hat, behandelt er mutig die Unterdrückung durch Tyrannei und die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Schon im Alter von 13 Jahren beginnt er, die ersten Theaterstücke zu schreiben. Er ist noch mit fünfzehn Jahren Bettnässer, wahrscheinlich durch den strengen Drill in der Militärschule, die er gegen seinen Willen besuchen muss. Dank des Herzogs von Weimar und Sachsen kann auch er schließlich nach Weimar kommen (1787).
Goethe und Schiller können trotz aller Verschiedenheiten in Bezug auf soziale Milieus, Gedanken, Charaktermerkmale und gesundheitliche Zustände eine enge Freundschaft schließen und gemeinsam einen großen Beitrag dazu leisten, dass Weimar zu einer Literatur- und Kulturstadt wird. In den ersten Jahren ihrer Bekanntschaft mag Goethe Schiller nicht so gern. Im Verlauf der Zeit entsteht aber eine tiefe Verbundenheit zwischen Goethe und Schiller. Goethe setzt sich für Schiller ein, einen Lehrstuhl in Geschichtswissenschaft in Jena zu erhalten. Nach dem frühen Tod Schillers (1805) will Goethe laut Testament sogar neben ihm beigesetzt werden.
Der Herzog von Weimar hat Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur unterstützt und aus ihren wertvollen Erfahrungen Nutzen gezogen, indem er ihnen Aufgaben und Verpflichtungen bei der Verschönerung und dem Aufbau der Stadt übertragen hat. Es scheint, dass wichtige historische Städte weniger durch die Vorstellungen der Politiker, sondern vielmehr durch die anspruchsvollen Beiträge der Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur errichtet werden konnten. Davon zeugen viele Städte in Orient und Okzident, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kultur geleistet haben.
Die Häuser der beiden Dichter in Weimar dienen nun als Museen, die von vielen Menschen aus aller Welt besucht werden.
Goethe und Hafis
Goethe hat eine weitere seltene Freundschaft; sie wird durch zwei Leerstühle am Beethoven-Platz in Weimar symbolisiert, wo der Osten mit dem Westen zwischen Ilm und der Altstadt verbunden wird. Die geistige Freundschaft Goethes mit dem berühmten, iranischen Dichter Hafis ist in aller Munde. Er schließt diese Freundschaft über Zeit, Raum, Religion und Kultur hinaus. Den Osten entdeckt Goethe durch Hafis und verfasst durch diese Inspiration sein weltbekanntes Werk „West-östlicher Divan“ (1819).
Ich fühle mich an einen Brief von Prof. Dr. Eberhard Müller erinnert, den ich vor ca. 15 Jahren erhalten habe. Unser gemeinsamer Freund Prof. Helge Paulus habe ihm von unseren kulturellen Aktivitäten erzählt, so wollte Prof. Müller uns wahrscheinlich mit einem Brief Ehre erweisen. In diesem berichtet er von zwei leeren Stühlen, die zu besetzen sind. Müller war 10 Jahre lang als Dekan der Fakultät für Biologie und Pharmakologie in Jena tätig. Das Dekanat befindet sich im Haus des Botanischen Gartens, den Goethe selbst angelegt hatte. Der Brief, den ich schon auf Deutsch und Türkisch veröffentlicht habe, weist auf die geistige Freundschaft von Goethe und Hafis hin und macht darauf aufmerksam, dass man auch heute solche Freundschaften schließen könne, auch wenn es zunächst schwierig erscheint.
Am Anfang seines Briefes stellt Müller diese im Jahr 2000 errichtete, bedeutungsvolle Statue wie folgt dar: „In Weimar stehen am Beethoven-Platz zwei leere Stühle aus Stein. Sie warten darauf, besetzt zu werden. Aber so einfach ist das nicht. Sie sind etwas hoch. Nicht jeder kann ohne Anstrengung einfach Platz auf ihnen nehmen. Man wird sie also erst einmal von Nahem betrachten. Dabei entdeckt man an der Rückwand des einen Stuhls Schriftzeichen in persischer Sprache. Leider kennen hier nicht viele diese Sprache. Man sagt, sie sei voller Poesie und habe ihre Wurzeln in einer hohen Kultur, besonders wenn ein Dichter darin seine Gedanken formt. Wessen Botschaft ist es, die uns hier erwartet, wer könnte symbolisch hier gesessen haben?
Wir finden eine Antwort auf diese Frage, wenn wir uns daran erinnern, dass wenige Schritte entfernt vom Beethoven-Platz Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) sich mit der östlichen Kultur und Dichtung beschäftigt hat. Da taucht aus der Erinnerung auch gleich der Name Hafis auf. Das ist nicht ein Hafis (also einer von denen, die den Koran auswendig kennen), sondern (in unserer Schreibweise heute) Mohammed Schemseddin (1326-1390), den man in Verehrung den Hafis nannte. Goethe fühlte sich mit ihm verwandt wie mit einem Bruder. Das ist schon erstaunlich, denn er konnte ihn ja nicht persönlich kennen. Hafis lebte über 400 Jahre vor Goethe.“
Am Ende des Briefes ruft er den Leser und Betrachter zu einem Dialog auf:
„Ist es eine Anmaßung, wenn ich mich in Gedanken auf den Stuhl Goethes setze? Es geschieht in der Hoffnung, dass Ihr den Stuhl von Hafis besetzt und wir zu einem Dialog finden.“
Diese Stühle, die wir leider nicht besetzen konnten, bestehen aus einem ganzen Granitstein, der symmetrisch in zwei Teile geschnitten wurde. Also zwei Teile eines Ganzen. In der Mitte auf dem Boden steht ein Gedicht von Hafis auf Persisch.
Bemerkenswert ist auch, dass der Boden aus einem Motiv des Unendlichen besteht, dessen Formel die muslimischen Mathematiker vor fünf hundert Jahren entwickelt haben.
Hinter einem der Stühle steht unten ein Gedicht von Goethe:
„Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen.
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.“
Dieses wertvolle Erbe Goethes stellt einen Reichtum für die deutsche Gesellschaft dar, wenn man in der Lage ist, dessen Wert zu erkennen. Wenn heutzutage der Westen und der Osten getrennt und sogar in Konflikt geraten sind, hat dies damit zu tun, dass die Gesellschaften aus beiden Lagern sich selbst und die anderen nicht genug kennen.
Muhammet Mertek
Fotos: ©MMertek